Orang-Utan heilt Wunde aktiv mit einer Pflanze

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Das Orang-Utan-Männchens Rakus im Urwald von Suaq Balimbing. Das Foto wurde zwei Tage vor Beginn der Selbstbehandlung aufgenommen./picture alliance, Max-Planck-Institut für Tierverhalten, SUAQ foundation, Safruddin

Konstanz/Banda Aceh - Erstmals haben Forscher systematisch dokumentiert, dass ein Wildtier eine Pflanze medizinisch gegen Verletzungen nutzt.

Evolutionsbiologen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbio­logie in Konstanz berichten im Fachjournal Scientific Reports (2024; DOI: 10.1038/s41598-024-58988-7), dass ein Sumatra-Orang-Utan eine Wunde im Gesicht aktiv mit einer Heilpflanze behandelt hat.

Das Männchen Rakus habe einige Tage nach einer Verletzung, die es wohl im Kampf mit einem Artgenossen erlitten hatte, Blätter einer Liane abgerissen, darauf herumgekaut und den Saft mehrere Minuten lang wie­derholt auf die Gesichtswunde aufgetragen.

„Als letzten Schritt bedeckte er die Wunde vollständig mit den zerkauten Blättern", sagte Erstautorin Isabelle Laumer. Sie beobachtete das Verhalten am Forschungsstandort Suaq Balimbing, einem geschützten Regen­waldgebiet auf Sumatra, in dem etwa 150 vom Aussterben bedrohte Sumatra-Orang-Utans (Pongo abelii) leben.

Die zur Heilung verwendete Liane (Fibraurea tinctoria) ist für ihre schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung bekannt und wird in der traditionellen Medizin zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie etwa Malaria eingesetzt.

Analysen pflanzlicher chemischer Verbindungen zeigten laut dem Forschungsteam das Vorhandensein von Furano-Diterpenoide und Protoberberin-Alkaloiden. Von diesen sei seien antibakterielle, entzündungs­hem­mende, antimykotische, antioxidative und andere biologische Aktivitäten bekannt, die für die Wundheilung relevant sind.

Die Autoren berichten, dass es bei dem Orang-Utan in den Folgetagen nicht zu einer Wundinfektion kam. Die Wunde habe sich innerhalb von fünf Tagen geschlossen und sei binnen eines Monats vollständig verheilt.

„Interessanterweise ruhte Rakus auch mehr als sonst, als er verletzt war. Schlaf wirkt sich positiv auf die Wundheilung aus, da die Wachstumshormonausschüttung, die Proteinsynthese und die Zellteilung im Schlaf gesteigert werden", erklärte Laumer.

Orang-Utan könnte schmerzstillende Wirkung entdeckt haben

Das Verhalten von Rakus schien demnach absichtlich zu sein, da er selektiv nur die Gesichtswunde an seinem rechten Backenwulst und keine anderen Körperteile mit dem Pflanzensaft behandelte.

Es könnte sich laut dem Team um eine individuelle Erfindung handeln, die sich aus einer zunächst versehent­lichen Berühung der Wunde beim Fressen der Pflanze ergeben haben könnte. Dabei könnte das Tier wegen der starken analgetischen Wirkung von Fibraurea tinctoria eine sofortige Schmerzlinderung verspürt haben, was dann zum wiederholten Auftragen führte.

„Das Verhalten wurde auch mehrmals wiederholt, nicht nur mit dem Pflanzensaft, sondern später auch mit festerem Pflanzenmaterial, bis die Wunde vollständig bedeckt war. Der gesamte Prozess hat viel Zeit in An­spruch genommen", sagt Laumer.

Zum Abdecken der Wunde könnte der Orang-Utan durch Fliegen gebracht worden sein, die anfangs an der Wunde auftauchten.

Bisher war der Studie zufolge nur bekannt, dass Menschenaffen bestimmte Pflanzen zur Behandlung von Parasiteninfektionen zu sich nehmen und Pflanzenmaterial auf ihre Haut reiben, um Muskelkater zu behan­deln. Kürzlich sei zudem in Gabun beobachtet worden, wie eine Schimpansengruppe Insekten auf Wunden auftrug.

Die Behandlung menschlicher Wunden wurde laut der Studie höchstwahrscheinlich erstmals in einem medi­zinischen Manuskript aus dem Jahr 2200 v. Chr. erwähnt. Zu den frühsten Wundpflegeprdukten der Sumerer, Griechen, Mayas und Ägypter hätten unter anderem Öle, Kräuter, Maden, Bier, Essig und Honig gezählt.

Hierzulande keine Medikamente auf Basis der Pflanze bekannt

Die immergrüne Kletterpflanze, die der Orang-Utan nutzte, hat den Forschern zufolge mehrere Namen und ist unter anderem in Festlandchina, Indonesien, Malaysia, Thailand, Vietnam sowie weiteren Gebieten Südostasi­ens verbreitet. Bekannt sei sie auch für antidotische und harntreibende Wirkung. In der traditionellen Medizin werde sie auch gegen Dysenterie und Diabetes eingesetzt.

Zugelassene Medikamente auf Basis von Fibraurea tinctoria sind dem Verband forschender Arzneimittelher­steller (vfa) für Deutschland nicht bekannt, wie es auf Anfrage hieß. Laut einer internationalen Datenbank gebe es zwar mehr als 20 Projekte für neue Medikamente zur Wundheilung, die derzeit mit Menschen erprobt werden, aber davon beruhe offenbar keines auf einem Pflanzeninhaltsstoff.

Wie der Verband erkäuterte, gehen forschende Pharmaunternehmen in der Regel bei ihren Projekten auch nicht von Naturstoffen aus, für die dann eine Anwendung geprüft werden. Ansatzpunkt seien vielmehr neue medizinische Erkenntnisse über die molekularen Grundlagen einer Krankheit, die auf eine neue Möglichkeit der Behandlung hinweisen.

Als nächstes würden dann Wirkstoffe gesucht und erarbeitet, die imstande sind, die gewünschte Wirkung an dem als relevant erkannten Molekül im Krankheitsgeschehen zu erzielen, beispielsweise ein Enzym zu hemmen. „Wird dazu ein Massenscreening von niedermolekularen Substanzen durchgeführt, können unter den getesteten Substanzen auch Naturstoffe sein, aber ohne Privilegierung gegenüber Substanzen aus anderer Quelle", erklärte der vfa. © dpa/ggr/aerzteblatt.de