Der Tourismus stößt an Grenzen, doch es gibt Lösungen

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Die Schönheit der Erde ist ­unermesslich, aber endlich. Sie kann aufgebraucht, aufgezehrt, ausgeschöpft werden, was wiederum bei ihren Hütern zur Erschöpfung führt. Davon zeugen die Massenproteste gegen den Massentourismus, die in jüngster Zeit allerorten immer lauter werden. Doch sie sind kein Menetekel für das Ende des Tourismus, sondern für eine dringend gebotene Korrektur. Denn wenn die Ströme der Reisenden klug geleitet, sorgsam kanalisiert, vernünftig verteilt werden und die Touristen ihrer Verantwortung als Gäste gerecht werden, reicht die Schönheit der Erde für alle Menschen.

Der Tourismus schaufelt sich nicht sein eigenes Grab

Tourismusverantwortliche in aller Welt erkennen inzwischen, dass es Zeit zum Handeln ist. Venedig erhebt jetzt eine Eintrittsgebühr von Tagesbesuchern, Amsterdam verbietet den Bau neuer Hotels, Barcelona und San Francisco beschränken drastisch die Umwandlung von Wohnraum in Ferienunterkünfte. Die ersten Naturschönheiten, die auf Instagram kollektive Hysterien auslösen und unter dem Ansturm der digitalen Lemminge zu ersticken drohen, werden komplett für Besucher gesperrt. Und wenn gar nichts anderes mehr hilft, gehen die Menschen wie dieser Tage auf den Kanarischen Inseln zu Zehntausenden auf die Straße, um gegen die Ausplünderung ihrer Inseln und die Ruinierung ihres Lebens zu protestieren.

Wenn die Touristen die Einheimischen aus ihrem Leben verdrängen, ist die Grenze überschritten: Protestparolen gegen den Massenansturm in Barcelona.dpa

Doch gerade das Beispiel der Kanaren zeigt, dass der Tourismus eben nicht in einer Systemkrise steckt und sich früher oder später sein eigenes Grab schaufelt. Vielmehr sind die Probleme der Maßlosigkeit und Unfähigkeit einzelner Akteure geschuldet - der Gier von Tourismusunternehmern, die glauben, auf Kosten von Mensch und Natur die Schönheit der Erde plündern zu können; und dem Unvermögen der politisch Verantwortlichen, solche Exzesse zu unterbinden.

Ohne Safari-Touristen keine Serengeti-Löwen

Dass die Zähmung der touristischen Massen zum Wohle fast aller keine humanistische Illusion ist, zeigt der Vergleich der Kanaren mit den Balearen. Auf den atlantischen Inseln, die in ihrem tiefsten Inneren immer noch eine feudalistische Seele haben, profitieren nur einige wenige vom Boom der Besucher, während der Großteil der Bevölkerung mit Mindestlöhnen abgespeist wird, sich keine bezahlbaren Wohnungen mehr leisten kann und den Ausverkauf ihrer Heimat ohnmächtig erdulden muss. Auf den Inseln im Mittelmeer hingegen hat fast jeder Einheimische seinen gerechten Anteil an den Segnungen des Tourismus erhalten, ist fast jeder Bauer dank des Verkaufs seiner Felder wohlhabend geworden, sind Exzesse die Ausnahme geblieben, deren letzten Auswüchsen wie am Ballermann nun der Garaus gemacht wird. Die Bewohner der Balearen sind dank ihrer Cleverness nicht zu den Bütteln der Tourismuskonzerne geworden, sondern haben das Heft des Handelns in die Hand genommen - mit Meliá, Riu, Iberostar und Barceló sind gleich vier Schwergewichte der globalen Ferienhotellerie balearische Unternehmen mit Sitz in Palma.

Die Mallorquiner haben ihre Insel nicht aus Profitsucht in verbrannte Erde verwandelt, sondern sie zu einem der attraktivsten Reiseziele der Welt gemacht, dessen Strahlkraft auch mehr als 100 Jahre nach Beginn der touristischen Ära ungebrochen ist; selbst die prestigeträchtigsten Luxushotelketten stehen heute Schlange, um auf der Insel ein Haus eröffnen zu dürfen. So ist Mallorca zu einem der vielen Musterbeispiele dafür geworden, wie der Tourismus die Welt zum Besseren verändern kann. Ohne ihn zählten die Mallorquiner heute nicht zu den reichsten Spaniern. Ohne ihn wären die Kanaren entvölkert, weil die Menschen notgedrungen ihr Heil in Amerika oder auf dem spanischen Festland gesucht hätten, so wie es früher auch geschah. Ohne die Milliardeneinnahmen durch seine Besucher wäre Venedig längst in Trümmern versunken. Ohne den Safari-Tourismus würden in der Serengeti keine Löwen, Giraffen und Zebras leben, sondern nur Nutztiere grasen. Ohne Bergwanderer und Skifahrer wären die Alpen heute eine einzige Wüstenei, ein entvölkertes Niemandsland im Herzen Europas und nicht ein Ort der Sehnsucht nach Schönheit.

Das Reisen bringt uns zur Vernunft

Doch die Schönheit der Erde ist bedroht, weil die Zahl derer, die an ihr teilhaben wollen und können, ständig wächst. Das macht den Tourismus doch zum Menetekel und - im besten Fall - zur Blaupause für all jene Herausforderungen, vor die uns die Zukunft stellt. Denn oft ist die Vorstellung von der Endlichkeit aller Ressourcen noch ein abstrakter Gedanke, noch zu unkonkret, um uns zur Einsicht und zum Handeln zu zwingen. Im Tourismus aber ist sie schon alltägliche Realität. Wir erleben am eigenen Leib, dass Grenzen erreicht sind und wir sie überschreiten, an überfüllten Stränden, zubetonierten Küsten, erstickenden Städten. Wir müssen uns eingestehen, dass es so nicht endlos weitergeht. Deswegen ist nichts geeigneter als das Reisen, um uns zur Vernunft zu bringen - und nicht anders ist es schon immer gewesen.