„Linie zur Hölle": Putins Armee marschiert trotz enormer Verluste unaufhaltsam weiter

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Stand: 05.05.2024, 11:41 Uhr

Von: Karsten-Dirk Hinzmann

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Wrack an Wrack und kein Ende. Die Ukraine hat Putins Panzerarmee erneut beachtlich dezimiert. Aber die Fahrzeuge schießen wie Pilze aus dem Boden.

Donzek - „Eine Linie zur Hölle", kommentierte das Verteidigungsministerium der Ukraine. Die markigen Worte in Newsweek beschreiben eine Kette von 42 Panzern und Panzerfahrzeugen, die Russland im Ukraine-Krieg jetzt verloren zu haben scheint. Auf ihrem X-Kanal (vormals Twitter) überfliegt eine Drohne eine Reihe ausgebrannter Fahrzeuge - allerdings ist unklar, inwieweit die Fahrzeuge tatsächlich in einem regionalen Zusammenhang gefilmt wurden oder ob sie überhaupt einem zusammenhängenden Kampfverband angehören. Eine Bestätigung von russischer Seite fehlt ebenfalls.

Die Ukraine behauptet, die Fahrzeuge wären in einem schmalen Frontabschnitt in der Donezk-Region außer Gefecht gesetzt worden. Tatsächlich befinden sich unter den Fahrzeugen auch solche mit Käfigen über dem Turm, so dass Drohnenangriffe auf die Panzer möglicherweise auszuschließen sind. Aufgrund der zerstörten Umgebung um die Fahrzeuge herum, scheint ein Artillerie-Angriff der Ukraine wahrscheinlicher zu sein. Klar ist, dass die Fahrzeuge in keiner Kolonne gefahren sein können, weil immer wieder vereinzelte Wracks gezeigt werden.

Schießen wie Pilze aus dem Boden: Ein russischer T-72 steht hinter der Cherson-Frontlinie in der Ukraine. Trotz hoher Verlustzahlen lassen sich Russlands Panzer noch nicht endgültig stoppen. © IMAGO / ITAR-TASS

Möglicherweise hat die Ukraine damit aber einen kleineren Erfolg verbucht, als sie das darzustellen versucht - das International Institute for Strategic Studies (IISS) hat zwar im Februar veröffentlicht, dass die russischen Verluste durch die Offensivkräfte der Ukraine zunähmen; aber dessen Autoren Yohann Michel und Michael Gjerstad raten eher zu gedämpftem Optimismus. Sie gehen davon aus, „dass Russland seinen Angriff auf die Ukraine bei den derzeitigen Abnutzungsraten noch zwei bis drei Jahre und vielleicht sogar länger aufrechterhalten kann". Russland könne demnach seine verlorenen Kapazitäten zahlenmäßig nahezu deckungsgleich ersetzen; allerdings trete zusehends Quantität an die Stelle von Qualität, schreiben die Wissenschaftler.

Russlands Alltag im Ukraine-Krieg: Endlose Angriffe ohne Rücksicht auf Verluste

Vielleicht werden die russischen Fahrzeuge vor allem aus diesem Grund leichte Beute der ukrainischen Abwehr. „42 zerstörte russische Panzer - ein Ergebnis der Führungsarbeit der 58. motorisierten Brigade der Ukraine in Zusammenarbeit mit der Separaten Präsidentenbrigade und der 762. Brigade", schrieb Anton Heraschtschenko, wie Newsweek berichtet. Der ehemalige stellvertretende ukrainische Innenminister hatte den Coup auch auf seinem X-Kanal veröffentlicht und ihm entsprechend gehuldigt. Offenbar zeigen die Bilder den Preis, den Russland für seine in jüngster Zeit aufgeflammten Offensivbemühungen zahlen muss. „Das Kampftempo in diesem Abschnitt der Front hat sich nicht verlangsamt, und die russischen Generäle schicken ihre mechanisierten Einheiten weiterhin ohne Rücksicht auf Verluste in endlose Angriffe", zitiert Newsweek Heraschtschenko.

„Stattdessen wurde uns klar, dass die Russen ihre Toten nicht zählen. Bisher werden die Särge der Soldaten größtenteils in die Provinzen zurückgebracht, und ihr Tod hat keinen Einfluss auf die allgemeine Meinung Russlands."

Womöglich ist die „Linie zur Hölle" auch das erste sichtbare Ergebnis der jüngsten us-amerikanischen Hilfslieferungen an die ukrainische Front - das intendiert eine Aussage des Analysten Gustav Gressel gegenüber der Tagesschau über die Kämpfe im Kohlerevier Donbas, in dessen Zentrum die Donezk-Region liegt. „Die Ukrainer hatten Probleme, das Gefechtsfeld dort abzuriegeln, weil ihnen die Artilleriemunition fehlte. Das dürfte sich jetzt verbessert haben, weil sie Material aus dem amerikanischen Hilfspaket bekommen haben. Außerdem haben sie Reserven in den Raum gebracht".

Allerdings scheinen die russischen Panzer wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Newsweek interpretiert die Zahlen und Beobachtungen des IISS dahingehend, dass Russland „seine Panzerflotte voraussichtlich mehrere Jahre lang mit minderwertigen Fahrzeugen aufrechterhalten könne". Aus der „Military Balance" des IISS liest Newsweek heraus, dass Russland von den antiquierten T-55 bis hin zu den modernen T-90 Panzern noch über geschätzte 1.750 einsatzbereite Panzer verschiedener Typen und Ausstattungsvarianten verfüge - und noch mehrere Tausend Fahrzeuge in der Hinterhand halte.

Ukrainischer Kriegsalltag: 42 Abschüsse bleiben ein Tropfen auf den heißen Stein

Die 42 abgeschossenen Fahrzeuge wären demnach ein Tropfen auf den heißen Stein und für die Ukraine theoretisch kaum mehr wert als ein Propaganda-Erfolg. Immerhin könnten die russischen Verluste der Ukraine Luft verschaffen und infanteristische Vorstöße vorerst unterbinden. „Keiner kann sein Gefecht alleine führen", sagt der Brigadegeneral Björn Schulz im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. „Ich kann es nicht alleine mit Panzern, ich kann es nicht alleine mit Infanterie, ich kann es nicht alleine mit Artillerie, Luftwaffe und so weiter machen." Ein moderner Krieg könne nur im Gefecht verbundener Waffen gewonnen werden, wie er ausführt.

Insofern kann die Zahl der zerstörten russischen Panzer tatsächlich offensive infanteristische Aktionen unterbinden beziehungsweise verzögern. Allerdings hat Russland seine Offensiven in den Regionen Donbas und Luhansk inzwischen verstetigt, wie die Tagesschau nach Bestätigungen durch die ukrainische Armee berichtet. „Was Otscheretyne anbelangt, so ist der Feind durchgebrochen und hat sich in dieser Ortschaft festgesetzt", sagte der Sprecher der an dem Abschnitt kämpfenden Armeegruppe, Nasar Woloschyn, der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Die Ukraine hatte den russischen Vorstoß mit Artillerie beantwortet und versucht, die Initiative zurückzuerlangen. Laut Berichten der Tagesschau hätten die härtesten Kämpfe, Woloschyn zufolge, an den Frontabschnitten in Richtung Pokrowsk und Kurachowe stattgefunden. Der russische Gegner habe zwar taktische Erfolge erzielt, aber bisher keinen operativen Vorteil erlangt.

Dem Ukraine-Krieg droht im Westen eine zweite Front

Nichtsdestotrotz wendet sich das Blatt in der Ukraine. Und anders als die Bilder über die zerstörten Panzer zu suggerieren scheinen, hängen die Erfolge weniger an der Zahl zerstörter russischer Ressourcen, denn an der Zahl verfügbarer ukrainischer Mittel. Und hier scheint sich mittelbar eine zweite Front für die Ukraine aufzubauen. Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer hat dem österreichischen Standard gegenüber geäußert, dass die Ukraine bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im November damit rechnen müsse, dass ihr der Westen in den Rücken fällt. Aktuell hält der Beobachter den Gefechtsverlauf noch für so weit kontrollierbar, „dass es die Ukraine schaffe, sich auf die erwartete Sommeroffensive der Russen vorzubereiten", wie der Standard schreibt.

Reisner gehört aber unverhohlen zu den Befürwortern einer offensiveren Unterstützung der Ukraine. Mitte April hatte er der Zeit gegenüber geäußert: „Wir haben uns die Lage in der Ukraine schöngeredet." Er hat zudem damit gehadert, dass der Westen offenbar gemeint habe, die Ukraine, wie er sagt, quasi „aus der Westentasche" unterstützen zu können. In der Times klagt Generalleutnant Oleksandr Pavliuk ebenfalls über den fehlenden Schulterschluss des Westens: „Für mich persönlich ist die wichtigste Lektion, dass man nicht wirklich erwarten sollte, auf jemand anderen zu zählen", sagte er. „Ich habe gelernt, mich nicht auf die Hilfe anderer zu verlassen. Letztlich liegt alles in unserer alleinigen Hand."

Die Niedergeschlagenheit des ukrainischen Oberbefehlshabers kontrastiert eklatant zum Erfolg der hohen Zahl an aktuell zerstörten Panzern. Pavliuk sagte gegenüber der Times, dass er faktisch zwei Kriege erlebt habe - den anfänglich Erfolg versprechenden der Ukraine und jetzt den realen Krieg. Anfangs hatten die Verteidiger noch geglaubt, die Invasion würde mit einer bestimmten Zahl russischer Verluste gestoppt. Inzwischen habe er sich eines Besseren belehren lassen müssen, wie ihn die Times zitiert: „Stattdessen wurde uns klar, dass die Russen ihre Toten nicht zählen. Bisher werden die Särge der Soldaten größtenteils in die Provinzen zurückgebracht, und ihr Tod hat keinen Einfluss auf die allgemeine Meinung Russlands."