Günter Guillaume: Eine coole Bemerkung des DDR-Spions war ein Geschenk für die Ermittler - WELT

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Der Spion blieb cool: „Was wollen Sie, ich bin Bürger der DDR", sagte Günter Guillaume am 24. April 1974 morgens gegen 6.30 Uhr zu den Polizisten, die ihn von der Tür in seine Wohnung hineindrängten. Er hatte auf ein Klingeln hin geöffnet und stand plötzlich Kriminalbeamten gegenüber, die ihm einen Durchsuchungsbeschluss und einen Haftbefehl unter die Nase hielten.

Diese Version erfuhr WELT direkt aus Ermittlerkreisen am Tag nach der Festnahme im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Doch es gab auch noch andere Erinnerungen von Ohrenzeugen, denen zufolge Guillaume gesagt habe: „Ich bin Hauptmann der Nationalen Volksarmee." In den Akten des Kanzleramtes wurde ein dritter Wortlaut festgehalten: „Ich bin Bürger der DDR und ihr Offizier, bitte respektieren Sie das." Diese Fassung gelangte an das Hamburger Magazin „Der Spiegel" und wurde seither oft zitiert - auch von Guillaume selbst in seinen 1988 erschienenen Memoiren.

Diesem Band ging es vor allem um Verklärung. Konkret angeblich um eine Botschaft an seinen gerade 17-jährigen Sohn Pierre, der schlaftrunken der Festnahme der Eltern habe zusehen müssen. Tatsächlich jedoch lag Pierre eigenen Angaben zufolge im Bett, als die Festnahme stattfand. Erst sein Vater weckte ihn, drückte ihm 200 Mark in die Hand und versprach, es werde „alles gut". Und dann, so Pierre wenige Tage nach der Festnahme, habe sein Vater gesagt, er sei nicht Offizier der NVA.

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Unabhängig vom exakten Wortlaut war die coole Bemerkung ein Geschenk für die Ermittler: ein Geständnis. Wirkliche Beweise hatte die Bundesanwaltschaft nämlich kaum, als die Festnahme stattfand. Nur wegen Fluchtgefahr hatte ein Richter den Zugriff genehmigt.

Günter Guillaume, geboren am 1. Februar 1927, war ein Mann, über den man nur berichten konnte, dass es eigentlich nichts zu berichten gab - die perfekte Tarnung für einen Spion. „Unauffällig" sei der SPD-Referent gewesen, ein „spießiger Typ" und „farblos". Den treuen Diener seiner Partei hatte er gegeben, loyal, wenngleich mit einem etwas irritierenden Hang zum Servilen. Das aber störte die selbstbewussten, durchaus geltungsbedürftigen Genossen nicht, die Guillaume den Aufstieg ebneten.

Sie schätzten den „fleißigen Arbeiter", lobten seine „Bescheidenheit", hielten ihn für einen idealen Mitarbeiter: unermüdlich, aber ohne eigenen Ehrgeiz. Doch all das war nicht echt, sondern gehörte zur Legende der Guillaumes, geschaffen von der DDR-Auslandsspionage.

Inszenierte Flucht

Die Voraussetzungen waren fast ideal: Günters Schwiegermutter Erna Boom hatte durch die Heirat mit einem Niederländer die niederländische Staatsbürgerschaft; also konnte sie im Mai 1956 ganz offiziell aus der DDR ausreisen. Christel Guillaume und ihr Mann kamen wenige Tage später nach - sie hatten die offene Demarkationslinie zwischen dem sowjetischen und den drei freien Sektoren Berlins überschritten, um anschließend nach Westdeutschland zu fliegen.

Als DDR-Bürger hatten die beiden ein Anrecht auf bundesdeutsche Ausweise. Und weil Erna Boom sich mit Geld der DDR-Staatssicherheit bereits vor dem Umzug eine Wohnung in Frankfurt / Main gemietet hatte, verfügte das Ehepaar Guillaume über eine Anlaufstelle. Daher mussten sie nicht das sonst für DDR-Übersiedler obligatorische Aufnahmeverfahren durchlaufen.

Denn dass die Stasi versuchte, im Strom der DDR-Flüchtlinge (allein im Mai 1956 waren es rund 25.000) Spione in den Westen einzuschleusen, lag nahe. Daher befragten Mitarbeiter westlicher Geheimdienste und des Bundesamts für Verfassungsschutzes in allen drei Notaufnahmelagern, in Berlin-Marienfelde ebenso wie in Gießen und Uelzen, die Übersiedler genau. Interessant waren Namen von Bekannten in West wie Ost, Informationen über Arbeitsstätten und bei Männern über eventuelle Dienstzeiten bei der DDR-Armee, der Polizei oder anderen uniformierten Verbänden wie den „Kampfgruppen der Arbeiterklasse". So gewonnene Angaben wurden mit Aussagen anderer Flüchtlinge abgeglichen - eine Belastungsprobe für jede Legende.

Günter und Christel Guillaume bei der Ankunft vor dem Verhandlungssaal vor der Urteilsverkündung am 15. Dezember 1975 in Düsseldorf

Quelle: picture-alliance/ dpa

Doch dank Erna Booms offiziellem Wohnsitz im Frankfurter Nordend mussten sich Christel und Günter Guillaume diesem Verfahren nicht unterziehen, sondern konnten direkt westdeutsche Ausweise beantragen - kein westlicher Geheimdienst überprüfte ihre Geschichte. Eine Gesetzeslücke mit Folgen.

Das Ehepaar erfüllte die Erwartungen der Auftraggeber in Ost-Berlin. Beide traten dem SPD-Bezirk Südhessen bei. Christel Guillaume (Deckname „Heinze") nahm eine Stelle als Sekretärin bei der Landespartei an, während Günter („Hansen") zunächst die Kaffeestube „Boom am Dom" betrieb. Doch schnell suchte auch er Anschluss zur Sozialdemokratie, allerdings der lokalen. Dazu wandelte er sich zum - vielleicht sogar überzeugten, man weiß es nicht - rechten Sozialdemokraten, scherzhaft auch bekannt als „Kanalarbeiter", die von ideologischen Phrasen wenig, von praktischer Politik dagegen viel hielten. „Das Ehepaar mit seiner dem Bonner Parteivorstand treuen Haltung stand vor allem ab den 1960er-Jahren im Widerspruch zur dominierenden Strömung im Unterbezirk Frankfurt", schreibt der Historiker Eckard Michels in seiner Studie „Guillaume, der Spion".

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Doch gerade dieser Gegensatz eröffnete Chancen. Prominente Sozialdemokraten wurden auf Günter Guillaume aufmerksam, vor allem Georg Leber, der Abgeordnete des eher bürgerlichen geprägten Frankfurter Wahlkreises I. Als Leber Ende 1966 als Verkehrsminister ins Kabinett der ersten Großen Koalition berufen wurde, hatte der DDR-Agent so einen Fürsprecher auf Regierungsebene.

Gleichzeitig allerdings sanken die Lieferungen der Guillaumes an ihren eigentlichen Auftraggeber, die Stasi. Jedenfalls waren laut der erhaltenen Verzeichnisse für die beiden in Ost-Berlin bis 1966 jeweils 16 Aktenbände angelegt worden, in den folgenden vier Jahren jedoch kamen für Günter nur zwei weitere und für Christel kein einziger hinzu (die gelieferten Berichte selbst vernichtete die Auslandsspionage der DDR im Frühjahr 1990 und mit Genehmigung der an der Nase herumgeführten DDR-Oppositionellen am Runden Tisch). Ob diese deutlich gesunkene „Aufklärungsarbeit" 1966 bis 1970 an Skrupeln der Guillaumes lag oder ob das Agentenpaar auf dem Weg in wirklich wichtige Funktionen geschützt werden sollte, lässt sich nicht aufklären.

Nicht qualifiziert

Nach dem Sieg der SPD bei der Bundestagswahl 1969 hätte Günter Guillaume Pressereferent in Lebers Verkehrsministerium werden sollen, doch dazu mangelte es ihm an der formal notwendigen Qualifikation für den höheren Ministerialdienst. Um ihn zu entschädigen, erhielt er das Angebot, ins erstmals sozialdemokratisch besetzte Kanzleramt einzutreten, als Referent für den Kontakt zu Gewerkschaften und Parteien - das war eine Funktion, für die keine Zugangsvoraussetzungen galten wie für eine Planstelle in einem Ministerium.

Kanzleramtschef Horst Ehmke ging es wohl vor allem darum, „einen Genossen als Belohnung für seinen Einsatz so zu versorgen, dass er auch bei mangelnder Qualifikation nicht zu viel Schaden anrichten konnte", schreibt der an der University of London tätige Historiker Michels. Ein Irrtum, dem der sonst so gewandte und gewiefte Machttaktiker Ehmke da erlag.

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Zumal auch noch die Sicherheitsüberprüfung des künftigen Mitarbeiters der Bonner Regierungszentrale Zweifel an Guillaume säte. Bei Egon Bahr, Brandts wichtigstem politischem Mitarbeiter, funktionierten 1969/70 anders als später die alten Instinkte aus West-Berliner Zeiten des Kalten Krieges noch. Er warnte Ehmke schriftlich: „Meines Erachtens sollten Sie mit G. sprechen. Selbst wenn Sie einen positiven Eindruck haben, bleibt doch ein gewisses Sicherheitsrisiko, gerade hier."

Trotzdem wurde Günter Guillaume Ende Januar 1970 rückwirkend zum Jahresbeginn im Kanzleramt eingestellt. Weiterhin aber hielt er sich, wohl auf Weisung aus Ost-Berlin, zurück. Erst ab dem 6. November liefen wieder kontinuierlich Berichte von Guillaume in Ost-Berlin ein, immerhin 14 Monate lang. Besonders relevant waren sie freilich nicht: Es ging laut den überlieferten Titeln der Berichte fast immer nur um Guillaumes eigenes Arbeitsgebiet. Ins Zentrum der Macht war er noch nicht vorgestoßen.

An Willy Brandts Seite

Das änderte sich nach der Bundestagswahl 1972: Der Spion rückte ins persönliche Büro von Willy Brandt im Kanzleramt auf, als Referent für Parteifragen. Hier bewährte sich Guillaumes mit seinen organisatorischen Fähigkeiten und dem unermüdlichen Einsatzwillen. Doch an geheimes Material kam er in der Regel ebenfalls nicht heran.

Die einzigen Ausnahmen gab es, wenn die Reihe an Günter Guillaume war, den Bundeskanzler auf einer Reise zu begleiten. Denn dann hielt er den Kontakt zwischen Kanzler und Kanzleramt, bereitete also auch die eingegangene vertrauliche Post auf. Nach seiner Verhaftung erwies sich für die öffentliche Wahrnehmung als verheerend, dass Guillaume 1973 Brandt auf einen vierwöchigen Urlaub nach Norwegen begleitet hatte.

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Zu dieser Zeit stand der Referent bereits unter Verdacht, ein Spion zu sein. Der Grund waren entschlüsselte Funksprüche der Stasi aus den späten 1950er-Jahren, in denen einem „G." und einer „Chr." gratuliert worden war - und zwar zu den Daten, an denen Günter und Christel Guillaume tatsächlich Geburtstag hatten. Seit Sommer 1973 stand Guillaume unter lockerer Überwachung. Doch da es nicht genug Beweise gab, ihn festzunehmen, musste ansonsten alles weiterlaufen wie gewohnt. So wurde der Kanzler zum Köder einer Spionageabwehr-Operation.

Dabei blieb es bis zur Festnahme der beiden Guillaumes am 24. April 1974. Vor allem dank Günters coolem, aber unbedachten Geständnis konnte das Ehepaar bereits Ende 1975 verurteilt werden. Er bekam 13, sie acht Jahre Haft; beide wurden 1981 gegen neun in der DDR inhaftierte Westbürger ausgetauscht. Bald darauf trennten sich die beiden. Günter Guillaume starb 1995 im Alter von 68 Jahren, Christel 2004 mit 76 Jahren. Ihr Sohn Pierre, der 1975 auf Druck der Stasi in die DDR übergesiedelt war, kehrte 1988 in die Bundesrepublik zurück.