Star Wars: Episode I hat in nur 60 Sekunden die größte Kino-Revolution des 21. Jahrhunderts losgetreten

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Noch bevor der junge Anakin Skywalker in seinen Podracer steigt und beim gefährlichen Boonta-Eve-Rennen sein Leben in den Schluchten Tatooines aufs Spiel setzt, entfacht in Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung der Funke der Rebellion. Nicht die Rebellion, die sich später gegen das Imperium richtet, sondern die Rebellion, die aus der weit entfernten Galaxis ausbricht und die Filmwelt für immer verändert.

Mit dem Auftakt der Prequel-Trilogie behauptete sich Star Wars-Schöpfer George Lucas einmal mehr als Visionär, Pionier und Rebell, der Hollywoods konventioneller Art des Filmemachens mit einer kühnen Idee begegnete: Was wäre, wenn ich einen Blockbuster komplett mit digitalen Kameras drehe, anstelle auf traditionelles Filmmaterial zurückzugreifen? Ende der 1990er Jahre war das undenkbar.

Ausgerechnet die kontroverseste Szene in Episode I markiert den Beginn von Lucas' digitaler Bilder-Ära. Obwohl er nicht der erste Filmschaffende war, der digitale Bilder auf die Leinwand brachte, beschleunigte er den Wandel im Blockbuster-Bereich maßgeblich. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums von Episode I werfen wir einen Blick zurück auf Lucas' digitale Ambitionen und wie sie das Kino beeinflusst haben.

Angefangen bei Episode I: George Lucas wollte mit den Star Wars-Prequels das Kino für immer verändern

Von Anfang an war klar: Lucas interessierte sich bei den Prequels nicht nur für den Ausbau seiner Sternensaga. Er wollte das nächste Kapitel des digitalen Filmemachens aufschlagen, das zum damaligen Zeitpunkt in Hollywood noch keine Rolle spielte. Digital gedrehte Filme gab es zwar schon zuvor - als Schlüsselwerke gelten Windhorse (1998) und die frühen Dogma 95-Filme aus Dänemark. Aber für eine 115 Millionen US-Dollar teure Produktion wie Episode I kam die Technologie nicht infrage.

Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung

Seit Mitte der 1990er Jahren adaptierten mehr und mehr Teile der Filmproduktion digitale Systeme. Das Filmen an sich war im Blockbuster-Kino aber noch in analogen Prozessen verankert. Während Schnitt, Ton und visuelle Effekte im Computer bearbeitet werden konnten, wurden am Set Filmrollen in Kameras eingelegt und danach die Negative entwickelt. Von einer konkurrenzfähige Digitalkamera fehlte jede Spur.

Das mussten auch Lucas und sein Team rund um Kameramann David Tattersall und Produzent Rick McCallum feststellen. Die Ambition, die Prequels vollständig digital zu drehen, wurde zuerst von einer Niederlage begrüßt. Im Juni 1997, als die erste Klappe zu Die dunkle Bedrohung fiel, stand der Crew kein digitales Kamerasystem zur Verfügung, das den Ansprüchen einer Blockbuster-Produktion gewachsen war.

Angefangen bei technischen Problemen bis zum praktischen Umgang: Digitalkameras konnten damals noch nicht die üblichen 24 Bilder pro Sekunde aufnehmen, sondern operierten mit 30 Bildern pro Sekunde. Im Vergleich zu analogen Kinofilmen wirkten die Bewegungsabläufe schwammig und die Bildqualität war deutlich schlechter. Und würden die Kameras überhaupt die Hitze beim Dreh in Tunesien überleben?

Von seiner Vision ließ sich Lucas trotzdem nicht abbringen. Seit 1995 experimentierte er mit den Möglichkeiten von Digitalkameras. In Zusammenarbeit mit Sony und Panavision entwickelte er Kameraprototypen und neue Linsen, die er für seine Arbeit benötigte. Konkrete Details schlüsselt Mike Blanchard, Vice President of Post-Production bei Lucafilm, in einem ausführlichen Interview mit StarWars.com  auf.

In Episode I verstecken sich die ersten digitalen Star Wars-Bilder - vermutlich habt ihr sie noch nie bemerkt

Als Lucas im August 1998 für nachträgliche Dreharbeiten ins Studio zurückkehrte, hatte er schließlich eine digitale Kamera im Gepäck: die Sony HDC-750. Das epische Lichtschwertduell mit Darth Maul im Finale konnte damit nicht gefilmt werden. Dafür kam die Kamera bei weniger komplexen Szenen zum Einsatz, etwa dem berühmt-berüchtigten Midichlorianer-Moment auf Tatooine, der bis heute diskutiert wird.

Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung

Am Abend vor dem Podrennen nimmt Qui-Gon Jinn eine Probe von Anakins Blut, um den Midichlorianer-Wert herauszufinden, der die Machtsensitivität des Jungen bestimmt. Popkulturgeschichte schrieb die Szene aufgrund der Empörung vieler Fans. Dass sich die Macht in Zahlen messen lässt, kam einer Entmystifizierung von Star Wars gleich. Was aber die wenigsten wissen: Hier wurde auch Filmgeschichte geschrieben.

Lucas filmte die Szene zwischen Qui-Gon und Anakin sowohl mit Sonys Digitalkamera als auch einer klassischen 35-mm-Kamera. Am Ende landeten zwei Einstellungen im Film, die mit der digitalen Kamera aufgenommen wurden - ein Meilenstein. Weitere Tests mit der HDC-750 wurden u.a. bei den Coruscant-Szenen durchgeführt. Dazu gehört zum Beispiel die Szene, in der sich Anakin von Padmé verabschieden will.

Doch was erhoffte sich Lucas genau von einem digitalen Filmdreh? Auf den ersten Blick gab es viele Nachteile und Hürden, von der unausgereiften Technologie bis zu skeptischen Blicken in der Branche. Für Lucas waren digitale Bilder der nächste logische Schritt, nachdem fast alle anderen Arbeitsschritte der Filmproduktion im Digitalen angekommen waren, gerade bei einem aufwendigen Blockbuster wie Star Wars.

Effizienz und Kontrolle: Der digitale Wandel erleichterte George Lucas das Filmemachen auf allen Ebenen

Um computergenerierte Effekte in seinen Film einzufügen, musste Lucas das gefilmte Material digitalisieren. Warum also nicht gleich komplett digital arbeiten? Für Lucas, der sich im Schneideraum wohler fühlte als am Set, bedeutete das digitale Bild mehr Kontrolle und einen nahtlosen Übergang zur Postproduktion. Ihm ging es um Effizienz. Nicht zuletzt finanzierte er die Prequels mit seiner Produktionsfirma Lucasfilm selbst.

Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung

Im Gespräch mit dem American Film Institue  erklärte Lucas 2009 seine Beweggründe für den digitalen Filmdreh:

Das Verfahren ist deutlich wertvoller. Es ist viel einfacher zu handhaben, so viel weniger restriktiv. Es verschaffte mir einen großen Vorteil im täglichen Prozess der Filmherstellung und sparte mir jede Menge Geld. Ich bin nach wie vor ein unabhängiger Filmemacher.

Finanzielle Fragen begleiten Lucas seit Beginn seiner Karriere als Filmemacher:

Ich zahle alle meine Rechnungen selbst und muss somit vorsichtig sein. Ich verfüge nicht über die unbegrenzten Ressourcen der großen Studios und muss mir Gedanken darüber machen, woher das Geld für meinen nächsten Film kommt, wenn der, an dem ich gerade arbeite, entweder das Budget überschreitet oder nicht so gut läuft, wie ich gehofft hatte. Das ist immer ein Faktor. Wir versuchen es, auf die kostengünstigste Weise zu drehen, und da hat das Digitale wirklich einen großen Unterschied gemacht.

Bei seinen Tests wollte Lucas herausfinden, ob sich das digitale Bild mit dem Rest des Films vereinen lässt. Das Ergebnis überzeugte: "Es passte so gut, dass es niemandem aufgefallen ist." Eine vollständige Auflistung, welche Einstellungen in Episode I aus digitalen Kameras stammen, existiert leider nicht. Paul Duncan, der Autor der Star Wars Archives, verifiziert in seinen Recherchen nur den Midichlorianer-Moment.

Lucas' ungebrochene Digitalambitionen: Das hatte Hollywood seit dem Ton- und Farb-Film nicht mehr erlebt

Obwohl am Ende nur ein paar digitale Sekunden in Episode I gelandet sind, war die Botschaft dahinter eindeutig: Lucas meinte es ernst mit seinem Vorhaben. Und diese Botschaft konnte Hollywood nicht ignorieren.

Gegenüber dem American Film Institute resümierte Lucas:

Ich wusste jetzt, ich habe die Kamera und die Objekte und kann den nächsten Film komplett digital drehen, und muss nicht mehr zwischen dem Medium hin- und herspringen.

Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung

Nach diesem Erfolg leitete Lucas gleich den nächsten Schritt der Kino-Digitalisierung in die Wege: Episode I wurde als erster Blockbuster mit digatalen Kopien gezeigt, konkret in zwei Kinos in Los Angeles und zwei in New York, was damals ein absolutes Novum war, wie die Los Angeles Times  in einem Bericht aus dem Juni 1999 festhält.

Heutzutage sind digitale Projektionen selbstverständlich. Vor der Jahrtausendwende sah sich Lucas mit der Herausforderung konfrontiert, bewegte Bilder mit digitalen Werkzeugen zu schaffen - und ebenso die Orte, an denen diese aufgeführt werden. 1977 legte er bei Krieg der Sterne großen Wert darauf, dass der Dolby-Sound angemessen in den Kinos wiedergegeben werden konnte. Bei den Prequels waren es die Projektoren.

Von der digitalen Produktionspipeline zum digitalen Vertriebssystem: Für ein großes Umrüsten in der Kinobranche waren die Gehversuche von Episode I zu wenig, doch die Ansage dahinter blieb unmissverständlich. Wenn die Zukunft von Star Wars digital war, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis weitere Filmschaffende nachziehen würden.

Drei Jahre nach Episode I löste George Lucas sein digitales Kino-Versprechen mit Angriff der Klonkrieger ein

Als mit Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger 2002 der erste komplett digital gedrehte Hollywood-Blockbuster die Leinwand eroberte, war aus der digitalen Rebellion bereits eine ganze Revolution geworden. Das Fest (1998) verpasste der Dogma 95-Bewegung einen rauen digitalen Anstrich, während Nouvelle Vague-Legende Agnès Varda mit Der Sammler und die Sammlerin (2002) ihr digitales Debüt vorlegte.

Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger

Aleksandr Sokurov konnte dank Digitalkameras den 96-minütigen Russian Ark (2002) in einer Einstellung drehen, während sich Danny Boyle im digitalen Bildrauschen der Zombie-Apokalypse von 28 Days Later (2002) verlor. Egal ob etablierte Hollywood-Größe (Robert Altman mit The Company, 2003) oder Leinwand-Rebell (Robert Rodriguez mit Spy Kids 2, 2002): Am Ende ist Michael Mann mit seinen digitalen Grenzerfahrungen Collateral (2004), Miami Vice (2006) und Public Enemies (2009) allen davongerannt.

Das digitale Kino war nicht mehr aufzuhalten.

25 Jahre nach Episode I sind digital gedrehte Filme und digitale Projektionen zum neuen Standard geworden. Ohne Lucas' Vorarbeit auf Blockbuster-Ebene wäre diese rasante Entwicklung nicht vorstellbar gewesen. Eine über 100 Jahre alte Industrie hat sich innerhalb einer Dekade komplett transformiert. 2013 stellten digital gedrehte Filme erstmals die Mehrheit im kommerziellen Kino  dar. Heute sind es über 90 Prozent.

Umso ironischer ist es, dass die Wiederbelebung von Star Wars im Kino Lucas' größtem Vermächtnis den Rücken gekehrt hat. Star Wars: Das Erwachen der Macht (2015) war der erste Star Wars-Film seit Episode I, der wieder auf Film gedreht wurde. Regisseur J.J. Abrams und Kameramann Dan Mindel entschieden sich für 35-mm- und 65-mm-Film. Star Wars sollte wieder aussehen wie in den 70ern und nicht wie das Kino der Zukunft.

Star Wars hat sich von George Lucas' digitalem Vermächtnis abgewendet, doch im Kino ist es überall zu spüren

Hatte das digitale Bild mit seinen Nullen und Einsen genauso wie die Midichlorianer die (Kino-)Magie entmystifiziert? Digital und analog wurde in den vergangenen Jahren oft gegeneinander ausgespielt. Lebendige Bilder mit reicher Textur vs. flache, seelenlose Aufnahmen. Ganz so einfach ist die Sache nicht. Immer mehr Filme lassen die Grenzen verschwimmen und zeigen, wie vielfältig digitales Kino sein kann.

Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung

Wenn wir uns den oscarnominierten The Holdovers anschauen, sehen wir einen Film, der mit digitalen Werkzeugen dem körnigen Filmlook nacheifert und aussieht, als wäre er gerade in einer vergessenen Filmdose gefunden worden. Dem gegenüber steht ein Science-Fiction-Blockbuster wie Avatar: The Way of Water, der nie zuvor gesehene 3D-Bilderwelten mit unglaublichen Farben und Bewegungen offenbart.

  • Zum Weiterlesen: Wie George Lucas heute die Filmgeschichte rettet

Es ist eindrückliches Zeugnis dafür, dass hier - auch dank Lucas' Pionierarbeit bei den Star Wars-Prequels - eines der mächtigsten Werkzeuge des Kinos entstanden ist. Digitale Kameras und alle damit verbundenen Filmtechnologien können die unterschiedlichsten Arten von Bildern hervorbringen. Wie bei allen Werkzeugen des Filmemachens ist die entscheidende Frage, wie sie zum Einsatz kommen.

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Weitere Quellen:

  • The Star Wars Archives. 1999-2005. (Paul Duncan, 2021)
  • George Lucas: A Life (Brian Jay Jones, 2017)