Türkei: Schnelllieferdienst Getir gibt Auslandsgeschäft auf

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Die Pandemie hat Lieferdiensten einen Boom verschafft. Das türkische Start-up Getir hatte sich angeschickt, westliche Märkte zu erobern. Nun wurde es von der Konsolidierungswelle erfasst.

Kuriere des Lebensmittel-Lieferdienstes Getir vor dem Eingang eines Supermarkts in Barcelona.

Angel Garcia / Bloomberg via Getty

Trotz den Hiobsbotschaften über die Wirtschaftslage in der Türkei gibt es auch Erfolgsgeschichten. Die hochprofitable Fluggesellschaft Turkish Airlines gehört dazu oder boomende High-Tech-Unternehmen wie der Drohnenhersteller Baykar.

Der im westlichen Ausland vielleicht sichtbarste Stern am türkischen Wirtschaftshimmel war in den vergangenen Jahren jedoch der Schnelllieferdienst Getir. In immer mehr Städten in Westeuropa und Nordamerika waren die Fahrer mit der auffallenden violett-gelben Kluft unterwegs, um innert weniger Minuten nach Bestellungseingang Lebensmittel auszuliefern.

In Istanbul, wo sich der Firmensitz befindet, gehören die Getir-Lieferanten ohnehin zum Stadtbild dazu. Der Sektor ist so bedeutend, dass in der Neujahrsnacht 2023 sogar der damalige Technologieminister Mustafa Varank einige Stunden als Getir-Kurier Bestellungen ausfuhr.

Ein Gewinner der Pandemie

Doch dieser Höhenflug ist fürs Erste vorbei. Nach tagelangen Gerüchten über geplante Umstrukturierungen gab das Unternehmen diese Woche bekannt, sich aus dem Auslandsgeschäft zurückzuziehen.

Nachdem Getir bereits im vergangenen Jahr seine Geschäftstätigkeit in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal eingestellt hatte, wird nun auch die Präsenz in Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden und den USA abgewickelt. Damit ist der aggressive Expansionskurs der letzten Jahre Geschichte. Das Unternehmen wolle sich auf den Heimmarkt Türkei konzentrieren, wo man das grösste Potenzial für nachhaltiges Wachstum sehe, heisst es in einer Mitteilung.

Getir wurde 2015 in Istanbul gegründet. Als Richtwert für die Lieferzeit galten die kleinen Nachbarschaftsläden, die es überall in der Türkei gibt und die für ein kleines Trinkgeld den Einkauf nach Hause liefern. Eine Bestellung bei Getir sollte schneller, einfacher und zuverlässiger sein, so das Versprechen an die Kundschaft. Auf türkisch bedeutet der Firmenname Getir schlicht «bring!».

Das Unternehmen wuchs schnell. Ein regelrechter Boom setzte während der Pandemie ein, als wegen Ausgangssperren und Home-Office die Nachfrage nach Online-Dienstleistungen in die Höhe schnellte. In diese Zeit fällt auch die Expansion ins Ausland.

Das Geschäftsmodell lockte Investoren an, unter anderem den emiratischen Staatsfonds Mubadala. Kein Unternehmen der Branche verfügte über mehr Risikokapital als Getir. Mit einer Bewertung von zeitweise 12 Milliarden Dollar war der violett-gelbe Lieferdienst das wertvollste Start-up der Türkei. In Deutschland übernahm Getir bereits nach kurzer Zeit den Konkurrenten Gorillas. Dessen Gründer Kagan Sümer hatte sich die Geschäftsidee einst vom türkischen Vorbild abgeschaut.

Die Begeisterung der Investoren ist verflogen

Die Konsolidierungswelle, die nun auch Getir erfasst hat, ist bereits seit einiger Zeit im Gange. Der Handel mit verderblichen Waren, die wegen der kurzen Lieferzeiten dezentral gelagert werden müssen, ist kostenintensiv und lohnt sich nur mit einem grossen Marktanteil.

Die Branche plagen aber auch konjunkturelle Probleme. Mit dem Ende der Pandemie kehrten viele Kunden zu ihren alten Einkaufsgewohnheiten zurück. Auch die wirtschaftlichen Verwerfungen wegen des Krieges in der Ukraine liess die Bereitschaft sinken, für die Lieferung nach Hause einen Zuschlag zu bezahlen.

Die Investoren wurden ebenfalls vorsichtiger. Trotzdem gelang es dem Marktführer in Deutschland, Flink, kürzlich, nochmals 100 Millionen Euro zu bekommen. Flink dürfte Interesse haben, zumindest einen Teil des Geschäfts von Getir und Gorillas in Deutschland zu übernehmen.

Breites Angebot in der Türkei

Auch in der Türkei musste Getir bereits Sparmassnahmen umsetzen, nicht zuletzt wegen der steigenden Lohnkosten im Zuge der hohen Inflation. Dennoch ist das Geschäft im Heimmarkt, wo Lieferdienste sehr verbreitet sind und es kaum ausländische Konkurrenz gibt, solider. Bereits vor dem jüngsten Entscheid erwirtschaftete Getir 93 Prozent seines Umsatzes in der Türkei.

Das Angebot des Unternehmens wird dabei stetig ausgebaut. Neben Lebensmitteln kann man über die Getir-App mittlerweile auch zubereitete Speisen und Non-Food-Artikel bestellen, aber auch ein Taxi oder einen Mietwagen buchen. Im vergangenen November ging das Unternehmen eine Kooperation mit der Is-Bank zur Entwicklung eines digitalen Banking-Angebots ein.