Chinas langer Arm in Europa: wie ein Regimekritiker der Deportation entging

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Ein junger chinesischer Regimekritiker wird in Frankreich zunächst von einer sogenannten Freundschaftsorganisation, dann von Diplomaten bedrängt. Er wendet sich an die Medien. Sein Fall zeigt, wie der chinesische Sicherheitsapparat im Ausland agiert.

Im 13. Arrondissement von Paris leben besonders viele chinesischstämmige Menschen. Wer das Regime in Peking kritisiert, ist allerdings auch hier nicht sicher.

Robert Deyrail / Gamma-Rapho / Getty

An diesem Wochenende bricht der chinesische Staats- und Regierungschef zu seiner ersten Europareise nach der Pandemie auf. Seine erste Station ist Frankreich, und zumindest laut Programm soll die Atmosphäre feierlich sein. Xis Besuch steht im Zeichen des 60. Jahrestags der französisch-chinesischen Beziehungen. Nach offiziellen Gesprächen in Paris will Emmanuel Macron Xi Jinping und seiner Frau die Pyrenäen zeigen; ein Ort, wo Frankreichs Präsident als Kind viel Zeit verbracht hat.

Treffen im Keller eines Restaurants

Doch kurz bevor Xi am Sonntag in Paris erwartet wird, mehren sich die Anzeichen, dass bei dem Besuch auch unbequeme Themen in den bilateralen Beziehungen zur Sprache kommen werden. Dass Emmanuel Macron in dieser Woche den Präsidenten der tibetischen Exilregierung im Élyséepalast getroffen hat, dürfte dem chinesischen Staatschef kaum gefallen. Zudem ist in dieser Woche öffentlich geworden, dass China wohl immer noch illegale Polizeiwachen in Frankreich unterhält - obwohl die französische Regierung bereits vor zwei Jahren mitgeteilt hatte, dass dies nicht toleriert werde.

Mit seltener Detailtreue haben das Magazin «Challenges» und der Sender France 2 den Fall von Ling Huazhan dokumentiert. Möglich wurde dies, weil der 26-jährige Chinese mit einem Menschenrechtsaktivisten in Kontakt stand, der schliesslich mit den Medien Kontakt aufnahm. Die Journalisten konnten Ling daraufhin versteckt folgen - und zeigen, wie das chinesische Regime versucht, ihre Gegner selbst im Ausland auszuschalten.

Ling, der 2023 aus Guangdong nach Europa kam und inzwischen im Grossraum Paris lebt, hat aus seinem Missfallen für die chinesische Führung kein Geheimnis gemacht. Er hatte im vergangenen Jahr ein Video auf Youtube gestellt, in dem er Bilder von Mao Zedong und Xi Jinping zerreisst. Zudem sprach er sich für die Unabhängigkeit Taiwans und Hongkongs aus und kritisierte den Umgang der chinesischen Regierung mit den Uiguren. In Deutschland und den Niederlanden hat er an Demonstrationen gegen die Repression in China teilgenommen.

Nach seinem Umzug nach Frankreich im Herbst 2023 wurde Ling von Vertretern einer chinesisch-französischen «Freundschaftsorganisation» kontaktiert und bald auch zu einem Gespräch gebeten. Das Treffen fand im Untergeschoss eines Restaurants in Aubervilliers statt, einem Vorort von Paris. Das Gebäude wurde laut Recherchen der Journalisten bereits vor zwei Jahren von den französischen Behörden als geheimer Polizeiposten des chinesischen Regimes identifiziert. Insgesamt soll es in Frankreich 2022 mindestens sieben solche verdeckten Sitze der chinesischen Sicherheitsbehörden gegeben haben. Nach dem Gespräch sagte Ling den Journalisten: «Ich glaube, ich werde verhaftet und nach China zurückgebracht werden.»

Dutzende von Drohbotschaften

Bald darauf, am 22. März dieses Jahres, wird Ling zu einem zweiten Treffen gebeten, diesmal im chinesisch geprägten 13. Arrondissement von Paris. Dort wird er von chinesischen Diplomaten bedroht und schliesslich unter Druck gesetzt, in ein Auto zu steigen. Man werde ihm zu gültigen Papieren verhelfen, aber dafür müsse er mitkommen, wird er später erzählen. Zusammen mit Vertretern der besagten «Freundschaftsorganisation» bringen die Diplomaten Ling zum Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle. Seine Begleiter versuchen ihn dazu zu bringen, in ein Flugzeug zu steigen, das ihn nach China bringen soll. Doch Ling wehrt sich - und verhindert so seine Deportation. Französische Polizisten bringen ihn schliesslich aus dem Gebäude.

Ling ist kein Einzelfall. Laut der in Spanien domizilierten NGO Safeguard Defenders wurden in den vergangenen Jahren rund 283 chinesische Staatsbürger aus rund 56 Ländern zwangsweise in ihre Heimat zurückgebracht. Nicht immer wurde dabei physische Gewalt angewendet, manchmal reichte der psychologische Druck, heisst es in einem aktuellen Bericht. Offiziell dient die Aktion mit dem Namen «Fuchsjagd» der Korruptionsbekämpfung. Immer wieder seien aber Regimekritiker unter den Betroffenen, schreibt Safeguard Defenders.

Ling Huazhan ist der erzwungenen Rückkehr knapp entgangen, aber er hat seither dennoch keine Ruhe. Wie das Magazin «Challenges» berichtete, hat er seither zahlreiche Kurznachrichten erhalten. Mindestens zwei Personen, die sich als Polizist beziehungsweise als Mitarbeiter des chinesischen Aussenministeriums ausgegeben haben, drohten ihm in Dutzenden von Nachrichten, dass seinen Verwandten etwas geschehe, sollte er nicht nach China zurückkehren. Bisher hat die französische Regierung nicht auf den Fall reagiert. Sie hatte vor zwei Jahren mitgeteilt, dass sie illegale Aktionen chinesischer Behörden nicht toleriere. Es scheint, als sei dies der Regierung in Peking ziemlich egal.